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Zahl der Wohnungslosen in Schleswig-Holstein drastisch gestiegen

Die Zahl der Wohnungslosen in Schleswig-Holstein steigt und es sind immer mehr junge Erwachsene betroffen. Das Diakonische Werk Schleswig-Holstein spricht von mehr als 10.000 Wohnungslosen und einer doppelt so hohen Dunkelziffer.

In einer Ersterhebung hat das Diakonische Werk Schleswig-Holstein die Zahl der Wohnungslosen in Schleswig-Holstein erfasst. Die Zahlen seien noch lückenhaft, doch dokumentierten sie die steigende Tendenz. Insgesamt liege die Zahl der Menschen, die bereits ohne Wohnung sind oder von der Wohnungslosigkeit, etwa durch Räumung, bedroht sind, bei mehr als 10.000. Die Dunkelziffer werde allerdings auf das Doppelte geschätzt, so hieß es auf der heutigen Pressekonferenz. Männer seien durchschnittlich dreimal so oft von Wohnungslosigkeit betroffen wie Frauen. Allerdings sei die Dunkelziffer bei Frauen höher, da sie sich eher durch Beziehungen oder das zeitweilige „Unterkriechen“ bei Freunden ein Dach über dem Kopf verschaffen würden.

In den vergangenen Jahren haben sich immer mehr Hilfesuchende an die diakonischen Beratungsstellen und Notunterkünfte der Diakonie gewandt. Mit 4.600 Personen lag die Zahl der Hilfesuchenden in Kiel, Lübeck, Flensburg und Neumünster um 10 Prozent höher als 2012. Brennpunkte sind vor allem die Städte, aber auch auf dem Land gibt es zahlreiche Menschen ohne eigenen Wohnraum. Erschreckend ist vor allem die Zahl junger Erwachsener. Während 2012 in Kiel und Lübeck noch 661 Männer und Frauen zwischen 18 und 25 Jahren Unterstützung suchten, waren es 2014 schon 799.

Zudem müssen Wohnungslose über immer längere Zeiträume ohne Wohnung auskommen. Bezahlbarer Wohnraum ist knapp, zumal in den vergangenen Jahren viele Wohnungen aus der Sozialbindung herausgefallen sind und zudem Studenten, Hartz-IV-Empfänger und Flüchtlinge in das Segment drängen. „Wohnungslose stehen in der Beliebtheitsskala bei Vermietern nicht ganz oben“, so die Landesreferentin für Wohnungslose der Diakonie, Ilona Pabjanczyk. Auch Michael Schmitz-Sierck von der Ev. Stadtmission Kiel weiß, dass viele Mitarbeiter mit den Wohnungslosen zusammen oft erfolglos die Vermieter abtelefonieren.

Die Zahl der Wohnungslosen ist in den vergangenen fünf Jahren drastisch angestiegen – in Zeiten wirtschaftlichen Wachstums und sinkender Arbeitslosigkeit. Bei Männern um rund das Doppelte, bei Frauen um etwa 40 Prozent. Für zahlreiche Menschen ist der Obdachlose der Penner mit einem Rucksack und einer Dose Bier, der durch das Land zieht und Platte macht, wo es ihm gefällt. Das Bild, wenn es denn einmal gestimmt haben sollte, gilt schon lange nicht mehr. Privatinsolvenz, Scheidung, Suchtproblematik, psychische Erkrankung, Verschuldung: Die Liste der Gründe für den Verlust der eigenen Wohnung ist lang. „Wohnungslosigkeit ist ein Problem, das aus der Mitte der Gesellschaft kommt. Es sind gescheiterte Menschen aus unserer Mitte, die an den Rand geraten,“ erklärt Landespastor Heiko Naß, Sprecher des Vorstandes des Diakonischen Werkes Schleswig-Holstein. Und häufig fehlt heute das familiäre Netz, um die Menschen aufzufangen.

Das System der sozialen Unterstützung stünde aufgrund der zunehmenden Fälle kurz vor dem Kollaps. Die Notunterkünfte wie die Bodelschwingh-Häuser in Kiel und Lübeck sind, wie der Name sagt, keine Dauerlösung. Sie dienen der Übergangszeit und würden jetzt schon viel zu lange pro Person in Anspruch genommen. Und wegen der angestiegenen Zahl der Wohnungslosen seien sie überfüllt.

Das Diakonische Werk Schleswig-Holstein fordert von Land und Kommunen eine Anpassung an die aktuelle Situation, in der immer mehr Menschen ohne Wohnung sind. Für eine langfristige Hilfe sei ein festes Kontingent an Wohnraum nötig. Zudem brauche man mehr Mitarbeiter in den Beratungsstellen. Ziel sei es, den Menschen langfristig zu helfen und sie wieder in unsere Mitte zu integrieren.

Text und Foto: Hilke Ohrt

Reges Medieninteresse bei der Pressekonferenz im Bodelschwingh-Haus Kiel

Landespastor Heiko Naß (l.) und Referentin Ilona Pabjanczyk vom Diakonischen Werk Schleswig-Holstein, Michael Schmitz-Sierck von der Ev. Stadtmission Kiel

Bereits ein Zimmer in Bodelschwingh-Haus in Kiel ist schwer zu bekommen.

Michael Schmitz-Sierck von der Ev. Stadtmission Kiel zeigt eine Gemeinschaftsküche.