HEMPELS Verkäufer im Café

"De Bettler" – der plattdeutsche Autor Heinz Rehn beschreibt eine ungewöhnliche Begegnung

Der 83-jährige Kieler Heinz Rehn ist sein ganzes Berufsleben zur See gefahren. Daneben schrieb und schreibt er platt- und hochdeutsche Geschichten. Rehn wohnt heute im Seniorenzentrum Kurt-Engert-Haus in Kiel. Die plattdeutsche Sprache "ligg em an't Hart". Im September 2008 hatte HEMPELS über ihn berichtet – nachzulesen im Magazin-Archiv auf unserer Homepage. Nun veröffentlichen wir eine Geschichte von ihm über die Begegnung mit einem Bettler – op Platt und auf Hochdeutsch. Die plattdeutsche Version können Sie oben lesen, die hochdeutsche weiter unten.

MGG

"De Bettler" op Platt

Dat hett klingelt, wat knapp, man so eben. Wer mag dat ween? För geweunlich drückt Lüüd, de vör mien Döör stoht, wat länger op den Larmmaker. Dit Schrill'n aver höör sik wat bang, wat unseeker an, as een Wort, dat na den ersten Ton in de Kehl steken blifft.

Vör de Huusdöör is een Oppgang, veer Stufen hoch. Ik maak de Döör op un kiek vun boven hendaal op een Mann, all wat to Johr'n, in schäbige Klamotten. He schuult wat schlurig na mi hoch, lüft de rechte Hand un höölt mi een schietig Stück Papier hen, op dat in grote Druckbookstaben krittelt steiht: BITTE GEBEN ETWAS GELD, DANKE.

Ik bün wat unseeker. Mien Gedanken goht tokehr. Wat schall ik doon? Annerletzt heff ik in uns Zeitung lees, dat organiseerte Banditen ut südost Europa, Fruunslüüd un Kinner to'n Betteln op de Straat schickt.

Ohn veel överleg'n schüttel ik mit den Kopp un sloog de Döör dicht. Mit datsülbe melldt sik Fiete, dat tweete "Ik" in mi to Wort un seggt: "Schaam di wat! För een paar Daag hest du di noch in Gedanken fraagt: Woveel Not kunn man mit dat Geld linnern, dat de Lüüd alle Daag för sinnlos düre Klamotten un överdreben Schmuck utgebt, um to wiesen, dat se wat sünd. Ja, un woveel Elend kunn wi afhölpen, wenn wi all dat weggeben dään, wat wi doch nich bruken doot."

"Ach wat", segg ik, "dat is doch wat anners. Dit Schlag Lüüd is doch dat Letzte. De goht leever betteln as to Arbeit."

"So", seggt Fiete, "löögst du di nich in de eegen Tasch? Segg mi, wer in uns Welt gifft een ool'n Mann, de villicht nie nich in sien Leben de Chance hat hett op een hoge School to gohn oder een Handwark to lern'n, Arbeit un Brot? Un sülbst wenn de Mann in een Welt groot worrn is, wo dat Betteln to'n Alldag höört, hest du keen Recht vun boven op em hensdaal to kieken. Un överleeg mol: Is dat Betteln nu een Schann för den Bettler de dor vör dien Döör steiht, oder is dat Betteln een Schann för een Gesellschaft, de in Överfluss leevt, den Luxus vergöttert un alle Daag tonnenwies de Lebensmittel op den Mist smieten deiht."

"Un", seggt Fiete, "woher weets du ob de ole Mann nich würklich in Not weer? Harr di dat armer maakt wenn du em een oder villicht ok twee Euro in de Hand drückt harrst?"

Ik goh na Köök un kiek dörch dat Finster. De Mann schlarpt wieder de Straat hendaal na dat nächste Huus to. Mien Gedanken goht mang Trotz un Schaam tokehr. Wat mach de Mann wohl denken un föhl'n, de jüst nu bi den Naaver op den Klingelknoop drückt, wenn dorna de Döör op geiht un he wedder in een Gesicht kickt, dat in den ersten Moment tohoop schreckt, denn aver wat sülbstgefällig, blots mit den Kopp schüttelt un rasch de Döör wedder dicht maakt.

Ik weet dat nich! Weets du dat?

"Der Bettler" auf Hochdeutsch

Es hat geklingelt, kurz, sehr kurz. Wer mag es sein? Für gewöhnlich drücken die Nachbarn und die Bekannten etwas länger auf den Krachmacher. Aber dieses Klingeln hörte sich etwas ängstlich, fast schon unsicher an, und glich einem Wort, das nach dem ersten Ton in der Kehle stecken bleibt.

Vor der Haustür ist ein Aufgang, vier Stufen hoch. Ich öffne die Tür und sehe von oben auf das faltige, braune Gesicht eines älteren Mannes in schäbigen Klamotten herunter. Sein Blick ist traurig, scheu und niedergeschlagen zugleich. Er hebt die rechte Hand und hält mir ein schmutziges Stück Papier entgegen, auf dem in Druckbuchstaben die Worte: BITTE GEBEN ETWAS GELD, DANKE, gekritzelt sind.

Ich bin unsicher, was soll ich tun? Meine Gedanken springen hin und her. Hatte ich doch neulich erst gelesen das organisierte Banditen aus Südost-Europa Frauen und Kinder zum Betteln auf die Straße schicken.

Ohne viel zu überlegen schlage ich dem Mann die Tür vor der Nase zu. Im nächsten Moment jedoch meldet sich Fiete, das zweite "Ich" in mir zu Wort und sagt: "Schäme dich! Vor einigen Tagen hast du dich in Gedanken noch gefragt: Wie viel Not könnte man in dieser Welt mit dem Geld lindern, dass die Leute täglich für sinnlos teure Klamotten und Schmuck ausgeben, nur um zu zeigen, dass sie etwas sind, dass sie Geld haben. Ja, wie viel Elend könnten wir lindern, wenn wir all die Werte weggeben würden, die wir als Besitz vergöttern, um damit anzugeben, die wir aber niemals wirklich gebrauchen."

"Ach was", verteidige ich mich, "das ist doch etwas anderes. Diese Leute gehen doch lieber betteln, als zu arbeiten."

"So", sagt Fiete, "Lügst du dich nun nicht in die eigene Tasche? Ja, sage mir, wer in dieser Welt gibt einem alten Mann, der vielleicht nie im Leben eine Chance hatte ein hohe Schule zu besuchen oder auch nur ein Handwerk zu erlernen, Arbeit und Brot. Und selbst wenn der Mann in einer Welt groß geworden ist, in der das Betteln zum Alltag gehört, hast du noch lange nicht das Recht von oben auf diesen Menschen herab zu sehen. Und überlege einmal: Ist das Betteln nun eine Schande für den Menschen der vor deiner Tür steht, oder ist der Bettler vor deiner Tür nicht eine viel größere Schande für eine Gesellschaft, die im Überfluss lebt, den Luxus vergöttert und die noch täglich tonnenweise Lebensmittel auf den Müll wirft."

"Und", sagt Fiete, "woher willst du wissen ob der alte Mann nicht wirklich in Not war? Und hätte es dich wirklich arm gemacht, so du ihm ein oder zwei Euro gegeben hättest?"

Ich geh in die Küche und schau durch das Fenster. Der alte Mann geht schlürfend die Straße entlang auf das nächste Haus zu. Meine Gedanken schwanken zwischen Trotz und Scham. Was mag der Mann wohl denken und fühlen, der gerade auf den Klingelknopf des Nachbarn drückt, wenn danach die Tür auf geht und er wieder in das Gesicht eines Menschen schaut, das im ersten Moment zusammenschreckt, der dann aber selbstgefällig nur den Kopf schüttelt und rasch die Tür schließt.

Ich weiß es nicht. Weißt du es?

Texte: Heinz Rehn

Die Homepage des Autoren finden Sie unter diesem Link.

Der plattdeutsche Autor Heinz Rehn. (Foto: Dieter Suhr)