EU-Ausländer: Anspruch auf ALG II trotz Verlustfeststellung

Ausländer aus der Europäischen Union können auch dann einen Anspruch auf ALG II gegenüber dem örtlich zuständigen Jobcenter haben, wenn die Ausländerbehörde den Verlust ihres Aufenthalts- bzw. Freizügigkeitsrechts festgestellt hat. In dem der Entscheidung zugrunde liegenden Fall hatte die Ausländerbehörde den Verlust des unionsbürgerlichen Freizügigkeitsrechts einer Familie festgestellt. In der Folge hob das zuständige Jobcenter deren ALG-II-Bewilligung auf, da ab dem Zeitpunkt der Verlustfeststellung gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 a SGB II kein Anspruch auf ALG mehr bestehe. Sowohl gegen die Verlustfeststellung als auch gegen Aufhebung der ALG-II-Bewilligung erhob die Familie Widerspruch und trug vor, die Mutter haben zwischenzeitlich wieder eine Erwerbstätigkeit aufgenommen und sei damit wieder freizügigkeitsberechtigt. Dennoch wiesen Jobcenter und Ausländerbehörde die jeweiligen Widersprüche zurück.

Rechtswidrig, entschied das Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht in zweiter Instanz in einem Eilverfahren. Zwar entfalte die Verlustfeststellung des Freizügigkeitsrechts der Familie durch die Ausländerbehörde eine sog. »Tatbestandswirkung« für den Ausschluss von ALG-II-Leistungen. Wird indessen nach Verlust des Freizügigkeitsrechts – hier durch die erneute Arbeitsaufnahme – ein Tatbestand verwirklicht, der ein Freizügigkeitsrecht neu begründet und hebt die Ausländerbehörde ihre deswegen rechtswidrig gewordene Verlustfeststellung nicht auf, können die Sozialgerichte im Rahmen des von § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II ohne Bindung an die Verlustfeststellung eigenständig das Aufenthaltsrecht bejahen und das zuständige Jobcenter vorläufig zu ALG-II-Leistungen verpflichten. (Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht, Beschluss vom 30.08.2021, L 6 AS 10003/21 B)

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