Merkzeichen aG: Gehfähigkeit im öffentlichen Raum entscheidend

Das Bundessozialgericht (BSG) hat im März 2023 entschieden, dass für die Zuerkennung des Merkzeichens aG (außergewöhnlich gehbehindert) und damit die Nutzung von Behindertenparkplätzen die Gehfähigkeit im öffentlichen Verkehrsraum maßgeblich ist. Kann der schwerbehinderte Mensch sich dort nur mit fremder Hilfe oder mit großer Anstrengung bewegen, steht ihm das Merkzeichen aG zu (wenn zudem die mobilitätsbezogene Teilhabebeeinträchtigung einem Grad der Behinderung von 80 entspricht). Eine bessere Gehfähigkeit etwa in Räumen oder in vertrauter Umgebung ist für die Zuerkennung demgegenüber ohne Bedeutung.

In einem Fall (B 9 SB 1/22 R) war dem Kläger unter anderem wegen einer fortschreitenden Muskelschwunderkrankung zwar noch das Gehen auf einem Krankenhausflur möglich. Eine freie Gehfähigkeit ohne Selbstverletzungsgefahr im öffentlichen Verkehrsraum mit Bordsteinkanten, abfallenden oder ansteigenden Wegen und Bodenunebenheiten bestand aber nicht mehr. In einem anderen Verfahren (B 9 SB 8/21 R) konnte der Kläger infolge einer globalen Entwicklungsstörung nur in vertrauten Situationen im schulischen oder häuslichen Bereich frei gehen, nicht jedoch in unbekannter Umgebung.

Das Bundessozialgericht hat entschieden, dass Betroffenen in derartigen Fällen grundsätzlich das Merkzeichen aG zusteht. Denn der auf volle, wirksame und gleichberechtigte Teilhabe von behinderten Menschen am Leben in der Gesellschaft gerichtete Sinn und Zweck des Schwerbehindertenrechts umfasse gerade auch das Aufsuchen veränderlicher und vollkommen unbekannter Orte. (BSG, Urteile vom 10.03.2023, B 9 SB 1/22 R und B 9 SB 8/21 R)

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