Mittellose Menschen dürfen Sozialhilfe statt Wohngeld wählen

Der Verzicht auf einen Wohngeldantrag kann sich für bedürftige Menschen lohnen. Steht ihnen ohne Wohngeld ergänzende Sozialhilfe nach dem SGB XII (Hilfe zum Lebensunterhalt, Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung) zu, dann können sie mitunter Vergünstigungen für Sozialhilfebezieher – etwa günstigere Monatstickets für ÖPNV – nutzen oder auch leichter eine Befreiung vom Rundfunkbeitrag erhalten. Das Bundessozialgericht (BSG) hat nun entschieden, dass Sozialhilfeträger nicht verlangen dürfen, dass mittellose Personen zuerst Wohngeld beantragen.

Geklagt hatte ein Bezieher von Altersrente und Wohngeld, der nicht mehr auf Sozialhilfe angewiesen war. Antrag auf Weiterbewilligung von Wohngeld stellte er nicht, stattdessen beantragte er Sozialhilfe, um in den Genuss von Vergünstigungen als Sozialhilfeempfänger zu kommen, die Bezieher von Wohngeld noch nicht erhielten. Der Sozialhilfeträger lehnte den Antrag unter Hinweis auf den sogenannten Nachranggrundsatz in § 2 Abs. 1 SGB XII ab. Rechtswidrig, entschied das BSG in letzter Instanz. Der Nachranggrundsatz stelle keine eigenständige Ausschlussnorm dar. Will der Gesetzgeber die Bewilligung von Sozialhilfe davon abhängig machen, dass kein (höherer) Wohngeldanspruch besteht, so muss er dies ausdrücklich im Gesetz regeln. Eine solche Regelung fehlt indessen – anders als im SGB II in § 12a SGB II – im SGB XII. (BSG, Urteil vom 23.3.2021, B 8 SO 2/20 R)

Wir veröffentlichen jeden Monat ein Urteil, das für Bezieher von Hartz IV und anderen Sozialleistungen von Bedeutung ist. Unsere Servicerubrik entsteht in Zusammenarbeit mit dem Experten für Sozialrecht Helge Hildebrandt, Rechtsanwalt in Kiel.