Nachholende Antragstellung auf ALG II: ein hohler Zahn?

Im Sozialrecht kann es vorkommen, dass Hilfebedürftige einen Antrag auf eine Sozialleistung stellen, die ihnen tatsächlich nicht zusteht. Ihr Antrag wird dann – manchmal nach langer Prüfung – abgelehnt. Oder es stellt sich nachträglich heraus, dass die Voraussetzungen für die beantragte Leistung tatsächlich nicht vorgelegen haben.

Die zu Unrecht bewilligten und ausgezahlten Sozialleistungen müssen dann im Regelfall erstattet werden. Da viele Sozialleistungen – etwa ALG II oder Leistungen der Altersgrundsicherung – nur auf Antrag und erst ab dem Monat der Antragstellung bewilligt werden, kann es vorkommen, dass Sozialleistungen zu erstatten sind, ohne dass die richtigen Sozialleistungen rechtzeitig beantragt worden sind. In diesem Fall hilft § 28 SGB X weiter: Wird zum Beispiel ALG II zurückgefordert, weil etwa die Leistungsvoraussetzung der Erwerbsfähigkeit tatsächlich nicht vorlag, können Leistungen der Grundsicherung bei Erwerbsminderung beantragt werden. Der ALG-II-Antrag wahrt dann die Antragsfrist für den Grundsicherungsantrag, wobei besondere Fristen zu beachten sind.

Das Schleswig-Holsteinische Landessozialgericht hat nun entschieden, dass ein Schüler, der unverschuldet fehlerhaft BAföG erhalten hatte und dieses für einige Monate erstatten musste, zwar wirksam innerhalb der Fristen einen nachgeholten Antrag auf ALG II nach § 28 SGB X gestellt hat. Allerdings seien die zu Unrecht bewilligten BaföG-Zahlungen – obwohl sie erstattet werden müssen – auf dessen ALGII- Anspruch anspruchsmindernd anzurechnen, da das BAföG dem Schüler in dem jeweiligen Monat tatsächlich zur Deckung seines Lebensbedarfs zur Verfügung gestanden hat. Als Folge dieser Entscheidung hat der Schüler damit im Ergebnis in den betreffenden Monaten weder BAföG – das er ja zurückzahlen muss – noch ALG II erhalten.

Wegen grundsätzlicher Bedeutung und bislang fehlender höchstrichterlicher Rechtsprechung zu dieser Frage hat das Schleswig-Holsteinische Landessozialgericht Revision gegen sein Urteil zum BSG zugelassen. (Landessozialgericht SH, Urteil vom 11.11.2021, L 6 AS 26/20; Revision bei BSG anhängig zum Az. B 4 AS 86/21 R)

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