Der Pritzker-Preis geht in diesem Jahr an den Architekten Alejandro Aravena, der mit seinen Ideen den sozialen Wohnungsbau wiederbelebt. HEMPELS hat die Kieler Architekten und Stadtplaner Marie und Peter Zastrow gefragt, ob dieses Modell auch auf unser Land übertragbar ist. Ein Interview.
Wie schätzen Sie Aravenas Arbeit ein?
Es freut unser Architektenherz, dass der Pritzker-Preis dieses Mal an einen „Antibombasten“ (ARD) verliehen wurde, an den „pragmatischen Utopisten“ Alejandro Aravena aus Chile. Auch für Chile ist es sicherlich ungewöhnlich, halbfertige Häuser zu bauen, die je nach vorhandenem Geldbeutel und Bedarf von den Bewohnern selbst vervollständigt werden können. Aber genau dieses Unkonventionelle und gleichzeitig Soziale ist die Qualität, die Aravena den Preis eingebracht hat.
Die Entscheidung der Jury freut uns als Kieler Architekten auch deshalb, weil damit ein Spotlight auf den sozialen Wohnungsbau gerichtet wird.
Wie beurteilen Sie den sozialen Wohnungsbau bei uns?
Jahrelang, man kann sagen, fast jahrzehntelang war der soziale Wohnungsbau in Kiel kein wirkliches Thema als Bauaufgabe. Erst durch den Andrang der Asylsuchenden wird (plötzlich) der Mangel an bezahlbaren Mietwohnungen, aber auch an geeigneten Bauflächen im städtischen Besitz, deutlich. Das Versäumnis der Vergangenheit aufzuholen, bleibt angesichts des vergrößerten Drucks der Nachfrage wenig Zeit.
Sollten wir zum seriellen Bauen zurückkehren oder welche Lösungen gibt es, um Wohnraum für finanziell schlechter Gestellte zu schaffen?
Mit dem „Kieler Modell“, das wir auf Initiative des Innenministeriums Schleswig-Holstein im Auftrag der Arbeitsgemeinschaft für zeitgemäßes Bauen e.V., Kiel, entwickelt haben, wird eine Lösung angeboten: Das Ziel ist gutes Wohnen für Jedermann. Die Grundrisse sind flexibel nutzbar. In der Erstnutzung für Asylsuchende, Einzelpersonen oder Familien als Wohngemeinschaften. Es gibt Gemeinschaftsräume zum Essen, Spielen, Lernen, Beten. In der Nachnutzung können mit geringem Umbauaufwand Wohnungen hergestellt werden, die den Förderbestimmungen der sozialen Wohnraumförderung entsprechen. Die Bauqualität ist kein Billigbau, sondern nachhaltig und den aktuellen Anforderungen entsprechend. Der Vorteil besteht auch darin, dass durch die „Serienplanung“ in der Planungsphase ca. sechs Monate eingespart werden können.
Könnten wir hierzulande auch „Halbe Häuser“, die ausbaufähig sind, bauen? So wie es der Architekt Aravena in Chile 2000-fach verwirklicht hat?
Das wäre vorstellbar im Rahmen von Baugemeinschaften, da Eigentum die Voraussetzung für das entwicklungsorientierte Bauen ist. Sollen hierzulande aber auch Menschen mit geringerem Einkommen stärker partizipieren am Wohnen in „den eigenen vier Wänden“, müsste z.B. über Mietkaufmodelle und stärkere Förderung des sozialen Eigenheimbaus nachgedacht werden. Dies ist vielleicht die wichtigste Botschaft, die von der Preisvergabe an Alejandro Aravena für uns ausgehen sollte.
Interview: Hilke Ohrt
Fotos: Villa Verde Housing, 2013, Constitución, Chile, Photos by ELEMENTAL