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Studie in SH: Arme Menschen brauchen unkomplizierte Hilfe

Eine Studie der Diakonie zu in Armut lebenden Menschen in Schleswig-Holstein bringt Defizite bei Beratungen und Behörden ans Licht. Diakonievorstand Heiko Naß warnt das Land vor Einsparungen in diesem Bereich und stellt weitere Forderungen auf

In Armut lebende Menschen brauchen unkomplizierte Hilfsangebote, die sich stärker an ihren Bedürfnissen orientieren. Das ist das Ergebnis der Studie "Armut in Schleswig-Holstein", die heute bei einem Symposium in der Fachhochschule Kiel vorgestellt wurde. Für die Erhebung interviewten die Forschenden im Auftrag der Diakonie im vergangenen Jahr 20 arme Menschen zwischen 23 und 81 Jahren ausführlich zu ihren Lebensumständen.

Laut der Mitautorin der Studie, Kim Bräuer, handelt es sich um die erste Studie in Schleswig-Holstein, die die konkrete Biografie von armen Menschen beleuchtet. "Wir müssen die Menschen hören, damit wir ihnen auch konkret helfen können", erklärte Bräuer.

In den Interviews, die zwischen bis zu acht Stunden dauerten, berichteten die Betroffenen über Defizite bei den Beratungs- und Hilfsangeboten. So fehlten bei den Behörden oft die fachlichen Grundlagen, um Armutslagen richtig einordnen zu können, hieß es. Die Betroffenen würden oft von oben herab behandelt. Der Zugang zu Unterstützungsleistungen sei bürokratisch und kompliziert. Zudem fehle es besonders auf dem Land an gut zugänglichen Beratungsangeboten. Auch der öffentliche Nahverkehr sei oft ein Problem.

So berichtete eine Frau den Forschenden, dass sie regelmäßig zu spät zu den Essensangeboten der Tafel kommt, weil sie nur ein bestimmtes Ticket für den Öffentlichen Nahverkehr nutzen darf und dann zu den letzten in der Warteschlange gehört.

Eine alleinerziehende Frau mit drei Kindern erzählte, sie habe Mühe gehabt, überhaupt als in Armut lebende Familie anerkannt zu werden. Die einzelnen Hilfsangebote habe sie sich hart erkämpfen müssen, hieß es. Einmal in die Armut gerutscht, werde der Weg heraus nicht optimal unterstützt. "Die Menschen richten sich in der Regel in ihrer Armut ein. Und uns muss bewusst sein, dass es jeden treffen kann", sagte Bräuer.

Die meisten Interviewten schilderten, dass biografische Brüche ihre Lebenssituation verschlechterten. Dazu gehörten der Verlust des Arbeitsplatzes, ein jobbedingter Wohnortwechsel, eigene Krankheiten oder Erkrankungen naher Angehöriger, der Verlust von Wohnraum sowie Trennungen oder Scheidungen. Andere hatten aufgrund ihrer sozialen Herkunft als Jugendliche schlechtere Bildungschancen und daher später eher schlecht bezahlte Jobs.

Alleinerziehende können trotz einer guten Ausbildung nur in Teilzeit arbeiten, wenn es keine ausreichenden Ganztagsangebote für ihre Kinder gibt. Diakonievorstand Naß forderte deshalb eine Betreuungsgarantie für Alleinerziehende, damit sie einer Vollzeitbeschäftigung nachgehen könnten. "Das wirkt sich finanziell nicht aus, wäre aber eine große Sicherheit."

Sozialstaatssekretär Johannes Albig erklärte, das Land investiere jährlich 700 Millionen Euro in Kitas und Horte pro Jahr. "Trotz klammer Kassen werden wir versuchen, dies beizubehalten." Die Studie sei sehr wertvoll für die Landesregierung und liefere wichtige Impulse für "unseren Anspruch, Armut auch aus landespolitischer Perspektive zu begegnen", versicherte Albig.

Diakonievorstand Heiko Naß erklärte, der Gesellschaft müsse es gelingen, dass alle Menschen würdevoll leben können. Dazu seien ein ausreichend berechnetes Existenzminimum, gerechte Löhne, eine gut ausgestattete Kindergrundsicherung und bezahlbarer Wohnraum nötig. Bei Beratungsangeboten dürfe es keine Einsparungen geben. Im Gegenteil: "Unsere Mitarbeiter in den Beratungsstellen brauchen mehr Zeit, um mit der nötigen Sensibilität auf die Menschen einzugehen und ihnen zu helfen", erklärte Naß.

EPD

Als arm gelten alle, die weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens zur Verfügung haben. 2021 waren knapp 15,6 Prozent der Schleswig-Holsteiner von Armut betroffen oder gefährdet, davon waren 37,1 Prozent alleinerziehende Frauen. (Symbolfoto: Pixabay)