Es war eine der größten Schiffstragödien der Welt: Rund 7.000 KZ-Häftlinge kamen vor 80 Jahren in der Lübecker Bucht ums Leben, als britische Bomber am 3. Mai 1945 die "Cap Arcona" und die "Thielbek" unter Feuer nahmen
Knapp 10.000 Häftlinge befanden sich im Hamburger KZ Neuengamme, als in den letzten Kriegstagen Ende April 1945 die Räumung des Lagers begann. Die SS wollte verhindern, dass die Gefangenen den Alliierten in die Hände fielen. In Güterzügen wurden sie nach Lübeck gefahren und dort auf den ehemaligen Luxusdampfer "Cap Arcona" sowie auf die Frachter "Athen" und "Thielbek" gebracht. Rund 9.000 Häftlinge trieb die SS auf die Schiffe. Die Zustände auf der völlig überfüllten "Cap Arcona" waren katastrophal, viele Häftlinge starben schon an Bord aufgrund der Mangelernährung und der schlechten hygienischen Zustände.
Die Hintergründe für die Absichten der SS bei der Verbringung der Häftlinge auf die Schiffe seien bis heute nicht vollständig geklärt, sagen die Forschenden Stefan Nies und Julia Werner. Die beiden sind Kuratoren des künftigen Dokumentationszentrums zur "Cap Arcona"-Katastrophe in Neustadt (Kreis Ostholstein), für das am Sonnabend (3. Mai) der erste Spatenstich erfolgen soll. Für 2028 ist die Eröffnung des Zentrums geplant.
Die vorliegenden Quellen lassen Nies und Werner zufolge keine Aussagen darüber zu, ob es konkrete Pläne gab, was mit den schwimmenden Konzentrationslagern und ihren Insassen geschehen sollte. Fest steht aber: So begann eine der größten Schiffstragödien der Welt. Rund 7.000 KZ-Häftlinge kamen vor 80 Jahren in der Lübecker Bucht ums Leben, als britische Typhoons am 3. Mai 1945 die "Cap Arcona" und die "Thielbek" unter Feuer nahmen.
Aus Anlass des 80. Jahrestags findet ebenfalls am Sonnabend (10.30 bis 11.30 Uhr) eine Gedenkveranstaltung auf dem Cap-Arcona-Ehrenfriedhof am Stutthofweg statt. Unter anderem wird Nieves Cajal Santos über ihren Onkel Miguel Santos sprechen, der am 3. Mai 1945 ermordet wurde. Miguel und sein Bruder Jesús Santos waren Häftlinge im KZ Neuengamme.
Für das britische Militär war die Lage in der Ostsee in den letzten Kriegstagen trotz Luftbild-Aufnahmen und Spionage unübersichtlich. Die Häfen Lübeck und Wismar wurden nicht mehr bombardiert, weil das Rote Kreuz von dort einstige KZ-Häftlinge nach Schweden bringen wollte. Bekannt war den Briten ab dem 2. Mai, dass sich KZ-Schiffe in der Lübecker Bucht befanden. Die entsprechende Nachricht gelangte allerdings nicht rechtzeitig zu den angreifenden Fliegerstaffeln.
In Annahme einer Absetzbewegung deutscher Truppenteile über die Ostsee in Richtung Dänemark oder Norwegen flog die Royal Air Force vom 2. bis 6. Mai 1945 mehrere Luftangriffe auf die in der Kieler und Lübecker Bucht versammelten Schiffe. Am frühen Nachmittag des 3. Mai 1945 nahm sie die KZ-Schiffe vor der Neustädter Bucht unter Beschuss.
Die "Cap Arcona" und die "Thielbek" gerieten in Brand und kenterten. Die an Bord befindlichen KZ-Gefangenen verbrannten, ertranken in der fünf Grad kalten Ostsee oder wurden beim Versuch, sich zu retten, erschossen. Nur etwa 400 Häftlinge überlebten.
Weitere 2.000 Häftlinge überlebten an Bord der "Athen", weil das Schiff zur Zeit des Angriffs gerade im Neustädter Hafen lag. Wenige Stunden nach dieser Katastrophe marschierten die Briten in Neustadt ein. "Tod und Befreiung lagen selten so nahe beieinander wie am 3. Mai 1945 in Neustadt", sagen Nies und Werner.
Teil der Tragödie ist auch das Schicksal der Häftlinge, die aus dem KZ Stutthof bei Danzig über die Ostsee nach Neustadt verschleppt wurden. Zwei der dafür in Dienst genommenen Schiffe, das Binnenschiff "Wolfgang" und der Lastkahn "Vaterland", kamen mit zwei Schleppern am 2. Mai 1945 in Neustadt an. Die Verantwortlichen der "Cap Arcona" und der "Thielbek" weigerten sich, weitere Häftlinge an Bord ihrer überfüllten Schiffe zu lassen. Deshalb ließen die Wachmannschaften die beiden Kähne mit jeweils etwa 730 KZ-Häftlingen, darunter viele jüdische Frauen und Kinder, bordseits vertaut zurück und setzten sich mit den Schleppern in Richtung Neustädter Hafen ab.
Daraufhin lösten die Häftlinge die Taue und die Kähne trieben in der Nacht auf eine Sandbank vor dem Strand zwischen Neustadt und Pelzerhaken. Viele der entkräfteten Häftlinge versuchten, das vermeintlich rettende Ufer zu erreichen.
Am Morgen des 3. Mai trieben deutsche SS-Soldaten, Marinesoldaten und Polizisten die Häftlinge jedoch mit Waffengewalt zusammen. Dutzende wurden dabei erschossen. Die Überlebenden mussten entlang des Uferwegs zum Sportplatz der U-Boot-Schule laufen. Auf diesem Todesmarsch wurden in aller Öffentlichkeit viele weitere Kinder, Frauen und Männer erschossen, erschlagen oder von der Uferböschung in die Ostsee gestoßen. "Die genaue Opferzahl ist ungeklärt, die Angaben differieren zwischen 240 und 400 Menschen", erklären Nies und Werner.
Heute erinnern Gräber, Ehrenmale und Gedenksteine in den umliegenden Gemeinden an die Opfer, darunter in Grömitz, Timmendorfer Strand, Niendorf und Neustadt auf holsteinischer Seite sowie auf der Insel Poel, in Grevesmühlen und Klütz auf mecklenburgischer Seite. Zum Jahrestag wird hier der Opfer gedacht. EPD